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Leben und Fakten im Postfaktischen Zeitalter



Leben und Fakten im Postfaktischen Zeitalter

Das Wort des Jahres 2016 war ‚Postfaktisch‘.
Es bedeutet, dass wir uns mehr für gefühlte Tatsachen interessieren, als für wirkliche Fakten, und diese gefühlten Tatsachen dann für die Wahrheit halten oder darauf sogar unsere Meinungen und unser Business aufbauen. 
Gefühlt(sic!), habe ich persönlich, dass es ‚postfaktisch‘ gibt schon sicherlich seit 1999, als ich an ersten Aufzeichnungen zu Johann Friedrich Maria von Zett’s Buch: Boo Boo Boo(veröffentlicht 2009) gearbeitet hatte. Damals nannte ich es den „Pakt der Enkel mit den Großeltern“ und beschrieb, wie die Enkel Generation die Arbeitsweisen der Großeltern in ein neues Jahrtausend retten können, denn die Verdummung begann bereits damals, um die Jahrtausendwende.
Es wurde damals schon weniger gelesen und begonnen laut in Social Media zu brüllen, anstatt sich an Stil, Niveau, Fakten, Moral, und Ethik zu halten.
Im Postfaktischen Zeitalter, in dem wir nun leben und das sicherlich nicht erst seit 2016, sondern begonnen hat der Spass schon 4 Jahre früher, haben wir nur jetzt in 2016/17 den Höhepunkt erreicht und zwar in vielen Gesellschaftsbereichen: In der Politik, im Business und im Privaten.
So werden politische Entscheidungen einfach ohne Fakten aus dem Bauch heraus getroffen, Steuergelder verbrannt oder neue Steuern beschlossen, aus Minimalerrungenschaften werden plötzlich großartige visionäre Taten (In Österreich haben wir das gerade gestern in der politischen Einigung für 2017 der ÖVP und SPÖ erlebt). Im Business sind plötzlich seit gut 6 Jahren alle CEO,COO und CIO, Director, Vice President, ja wir haben auch hier einen Titelschacher wie im Kaiserreich, als es noch Titel anstatt Gehaltserhöhungen gab. Dies ist besonders im Finance Sektor und bei Start-Ups zu erleben. 
Das gute an Social Media Profilen wie Xing und LinkedIn ist ja auch, dass man sie selbst verwaltet und deswegen da reinschreiben kann, was man mag und da ist es natürlich verlockend, sich als Geschäftsführer der One-Man-Show oder 10 Mann Bude, sich den Titel CEO zu geben, schaut einfach internationaler und besser aus… ;-). 
Für mich haben diese Titel immer noch die Bedeutung der 90er Jahre, da war ein CEO mindestens Chef von 10.000 Mitarbeiten und fuhr nen Benz mit Chauffeur und ein Direktor, war eben ein erfahrener Unternehmer, um die 50, sein Vice President vielleicht 45 und Abteilungsleiter. Heute kann man mit 25 Vice President(nach 2 Jahren Berufserfahrung) sein und Direktor mit 30 (nach vielleicht 5 Jahren). Jedenfalls ne feien Sache für’s Ego, aber nur ein billiger Trick sich die Gehaltserhöhung für die Mitarbeiter einzusparen.
Wie steht es nun um die Fakten, naja, ich fürchte nicht besser. Fakten zu präsentieren macht Spass, sie zu produzieren weniger und ist harte Arbeit für die man Zeit, einen langen Atem und Geld braucht. Doch das alles haben wir oft nicht in Zeiten von Social Media, Twitter und täglicher Reizüberflutung, was machen wir also ?
Richtig, wir basteln uns eine Studie oder geben eine in Auftrag wo wir vorher schon das Ergebnis wissen, das rauskommen soll oder eben genau dafür bezahlen.
Steht einmal die Studie, dann können wir sie oft zitieren und für Marketing Zwecke verwenden, auf die Details schaut eh keiner mehr, außer den Erbsenzählern, die ja sowieso nix zu melden haben in unserer Fancy-Business-Welt. Ich habe hier gerade eine Nerd Figur wie den Gerichtsmediziner Edgar Nygma in der Serien Gotham im Kopf. Wenn der Fakten richtigstellen will, hört ihm auch keiner zu, also keine Gefahr, dass unser postfaktischer Betrug auffliegt. Am Ende bleibt eh nur im Köpfchen hängen, dass wir laut einer Studie Nr. 1 geworden sind, oder dass Steuer gespart werden können oder der Business Plan des Startups zu 200% funktioniert und die Venture Capital Freunde dann reicher als reich macht.
Geht das Ganze dann gehörig in die Hose oder wird aufgedeckt, so sehen wir gerne darüber hinweg oder feiern unsere Misserfolge in Fuck-Up or Failure-Nights oder machen die Studie nur für 4.998 € für die Öffentlichkeit zugänglich(kauft dann eh niemand).
Ja, das ist auch so etwas neues, ähnlich dem Postfaktischen, das Feiern der Misserfolge. Es wird also immer gefeiert, ob man nun Erfolg hat oder das Venture Capital verbrannt hat, was man dann in den Mantel einer Failure-Night verpakt (um daraus zu lernen, blablabla, eigentlich sollte man in der Ecke stehen und sich schämen!) zelebriert.
Das Ganze erinnert mich auch an die Laissez Faire Erziehungsmethoden aus den 70er Jahren, ja bei unserem Spiel sind ALLE Kinder die Gewinner oder ich schenke meinem Kind eine Flasche Whisky zu seinem 13. Geburtstag, damit er später nicht zum Alkoholiker wird.(Es wird dann nämlich schon mit 13 Alkoholiker, weil es sonst gar nicht auf die Idee gekommen wäre, das Zeug zu probieren…!)
Letztendlich entsteht durch diese ganzen oben genannten Handlungen und Methoden eine Verwässerung der Fakten und es geht der Respekt vor Dingen und Handlungen verloren, weil am Ende passiert ja eh nix, wenn etwas gegen die Wand fährt und wir konnten draus lernen, wofür wir so dankbar sind. Danke!
Die Steuergelder sind zwar verbrannt, aber den Gulag für Politiker gibt es höchstens in Russland, bei uns dafür lieber eine Millionen-Abfindung oder Beamtenpension.
Das Venture Capital ist futsch, aber ja, war ne geile Start-Up Zeit mit viel Marketing die letzten 3 Jahre. Die Studie ist nicht repräsentativ bzw. die Zahlen schlichtweg falsch, aber egal, merkt ja eh keiner, denn wichtig ist, dass die Kernaussage hängen bleibt. Wir sind die Nr. 1.
Wir lügen uns also in die eigene Tasche und wundern uns, warum vieles nicht mehr so richtig funktioniert und glorifizieren dann die ‚alten Zeiten‘, denn damals war ja alles besser und warum ?
  • Weil man sich damals mehr an Fakten hielt.
  • Weil die Qualität stimmen musste.
  • Weil man ein Gewissen hatte und sich gar nicht getraut hätte einen ‚Fusch‘ abzuliefern.
  • Weil diskutiert wurde bzw. mehr in die Tiefe gegangen wurde, anstatt nur an der Oberfläche zu kratzen und wir aufgrund der Reizüberflutung keine Zeit mehr haben, die Fakten zu prüfen.
  • Weil damals noch drin war, was draufstand.
  • Weil wir damals viele Zeitungen auf dem Niveau der FAZ / NZZ hatten und noch keine Gleichschaltung der Presse als abhängige Wirtschaftsunternehmen.
  • Weil wir uns selber leichter ein Bild von der Wahrheit machen konnten, da nur wirkliche Fakten verbreitet wurden.
  • Weil wir noch ‚denken‘ konnten und selbst erkennen, was aus der ‚Tagespresse‘ ist und was aus der Zeitung.
Die Liste ginge unendlich weiter, aber ich glaube wir haben alle verstanden, was ich damit sagen will.
Zum Abschluss vielleicht noch eine kleine Anregung für 2017, die mir die letzten 5 Wochen sehr gut tat und die einem hilft, das Postfaktische in uns abzulegen:
  1. Ich habe mein Facebook Account gelöscht und nichts verpasst. (Ok, da ich weiterhin LinkedIn, Xing, Twitter, Telefon, Skype und eMail nutze, was vollkommen ausreicht.)
  2. Ich lese wieder täglich FAZ und NZZ und habe alle anderen Nachrichten Apps vom Handy gelöscht.
  3. Und ich lese nach wie vor 2-3 Bücher pro Monat und das schaffe ich nun wirklich, seit ich 1 + 2 Umgesetzt habe.
  4. Ich nehme mir Zeit für Fakten, anstatt in eine postfaktische Social Media Spirale zu kommen, die einen selbst verblödet.
In diesem Sinne einen schönen 1. Februar 2017 wünscht,
Thomas Zahlten

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